Zu Gast 2: Sammlung Mackert

VERNISSAGE
am 23.10.2019 ab 18 Uhr


Geöffnet Mittwochs 16:30 – 18:30 Uhr

HEIMO ZOBERNIG

Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA.
In meinem Rücken die Ruinen von Europa.
Heiner Müller, Hamletmaschine, 1977

Man muss vor der Moderne fliehen, aus Angst, dass sie sich selbst nicht rettet.
Frank Perrin, Symposium Villa Arson, Nizza, 1991

Als Heimo Zobernig Anfang der 80er Jahre seine künstlerische Praxis beginnt, ist die Skepsis an dem, was Kunst (sein) kann, schon sehr alt. Seit Hegel ist klar, Kunst ist gemacht, aber nicht mehr wahr, seit Adorno darf nichts mehr an ihr als selbstverständlich gelten. Gibt es vom Aufklärungsanspruch der Kunst der Moderne noch etwas zu retten, wenn sie ihrer Zeit als „Ersatzreligion" dient, der eine wie auch immer geartete freischwebende (metaphysische) Substanz zugesprochen wird? Auch die avantgardistischen Ideologien des 20. Jh.s, die es auf die bürgerlichen Institutionen der Kunst abgesehen haben und die der Kunst etwa politische Wirksamkeit zuschreiben, setzen stillschweigend einen substantiell aufgeladenen Kunstbegriff voraus1. Zu keiner Zeit befindet sich also die Kunst seit der Moderne auf der Höhe ihrer eigenen Theorie.

Ein Großteil der hier ausgestellten Arbeiten, die 22 Gouachen sowie die Kartonskulpturen, stammen aus dem Zeitraum 1984 – 1989. Im damaligen Westen ist dies die Hochzeit postmoderner Theorierezeption, weltpolitisch gesehen die Endphase des Kalten Kriegs und der Kick-off des globalisierten Kapitalismus neoliberaler Prägung. Die „Auflösung der Blöcke" steht unmittelbar bevor. Zobernig schafft sich Distanz zu einem substanziell aufgeladenen Kunstbegriff, indem er sich selbst als „Historiker, als Wissenschaftler" bezeichnet2. Seine Arbeiten beziehen sich aber nicht auf weltliche oder politische Ereignisse, sie beziehen sich rein auf Fragen der als prekär zu sehenden Möglichkeit von Kunst, unter In-Blick-Nahme verschiedener Strategien seiner abstrakten Vorläufer. Diese für die Zeit der Neuen Wilden und dann der Kontextkunst und Institutionskritik ungewöhnliche Stringenz und Askese stellen ihn nicht außerhalb der gängigen Diskurse, er ist vielmehr mittendrin und gleichzeitig ihr Zuschauer.

Wie kann nach den weit zurückliegenden avantgardistischen Strömungen des Konstruktivismus, die für Zobernig sichtbar Anziehungskraft besitzen und wie kann nach der Institutionskritik von Michael Asher und neben Martin Kippenbergers überaus fruchtbarer, kritischer Affirmation des Spätkapitalismus ein eigener gültiger Ansatz gefunden werden? Keinen Ausweg sieht Zobernig offenbar im zu dieser Zeit verbreiteten negativen Pathos der Verweigerung, einer Art konzeptuell begründeter Stagnation, für die der viel beschworene Mythos des Dandys (die Wohlstandsausgabe des Skeptikers) erschaffen wurde. Zobernig, im Gegenteil, ist immer produktiv, ein Macher3.

1 Vgl. Helmut Draxler: Gefährliche Substanzen: Zum Verhältnis von Kritik und Kunst, Polypen, 2007
2 Heimo Zobernig: Neue Galerie Graz, 1.3.-21.3. 1993, Salzburger Kunstverein, 2.3.-18.4. 1993, Vorwort.
3 „Die ideologischen Inhalte aufgeben, will nicht heißen, den Sinn für die Möglichkeiten der Ideen zu verlieren. Ein gleichzeitiges Verweigern der modernen Dogmen der Wahrheit (Einheit, Identität, Totalität,..) und der unbekümmerten Leere einer schalen Wiederholung: die Gleichgültigkeit, das Simulakrum, die Spezialeffekte des Neuen... Zobernig markiert die Unbedingtheit einer extrem zugespitzten Position. Jener Position nämlich, die darin besteht, daß er die modernistischen Bedingungen neu formuliert, um schlußendlich (...) den Impuls zu behalten. Die Kunst, wie sie Zobernig versteht, hat kein Ziel mehr, sie ist das Ziel selbst (...), ein Elan." Olivier Zahm, Symposium Villa Arson, Nizza, 1991

Sein frühes Schaffen könnte als forschende Suchbewegung durch das Vokabular der abstrakten Moderne gelesen werden. Die Gouachen, in ihrer leicht schulhaften Anmutung führen dies vor. Sie sind Mittel der Recherche und nicht zu verwechseln mit Fingerübungen, denn sie enthalten bereits im Verlauf ihrer Entstehung den Moment des entscheidenden Umschlags in Zobernigs Werk. Ist das Ausloten von Farben, Formen und Konstellationen und dadurch von Möglichkeiten der Kunst im Beginn vielleicht authentisch (wenngleich, da mit ostentativer Bescheidenheit vorgetragen, schon bald unter Ironieverdacht4), so geht das „Sichten und Ordnen5", um mit einer Romanfigur Thomas Bernhards zu sprechen, im Laufe der 80er Jahre zu einem Gestus des Zeigens über.

In der Verschiebung vom Erforschen zum Vorführen der Schulen liegt weit mehr als die Emanzipation vom Kanon: Indem Zobernig beispielsweise zusammen mit Ferdinand Schmatz6 die Philosophien der Farbenlehre durchdekliniert und am Ende in seinen Streifen- und Fleckenbildern ihre sämtlichen Regeln aufhebt und eine schier unendliche Farbenkombinatorik ausschöpft, deren einzige Vorgabe ist, dass sich keine Konstellation genau wiederholt, entleert er die Lehren und die Kunst als Subjekt ihrer Verortung gleichermaßen. Was bleibt sind Streifen und Flecken, als quasi szenische Mittel, nicht um ein bestimmtes System vorzuführen, sondern um „so zu tun als ob" ein System sinnstiftend zugrunde liege und dies gleichzeitig zu verneinen.

Ist das System unwirksam, erscheint dann an seinen Rändern die Kunst? Vielmehr liegt die Vermutung nahe, Zobernigs Hang zum Raster, wie er sich wenig später auch bildlich niederschlägt, ist der Faszination daran geschuldet, dass sich eben durch das Raster nichts zeigt, als es selbst. Das muss genügen und das tut es auch. Die Produktion geht weiter. Ein unverwechselbares Oeuvre ist im Entstehen, das es mit der konservativ geprägten „high art" der Zeit genauso aufnehmen kann, wie mit ihrer rebellischen Gegenwelt7.

Noch vor den Streifenbildern erscheinen um 1984 die lackierten Pappskulpturen. Über die Bedeutung der Minimal Art in Zobernigs Werk wurde bereits sehr viel Hochkarätiges geschrieben, an das die hier kurz skizzierten Anmerkungen nur schwer heranreichen können. Dennoch ist die einfache Betrachtung verblüffend: Wie eine Anleitung muss sich Michael Frieds weltberühmte Kritik der Minimal Art für ihn lesen, die bereits 1967 unter dem Titel Art and Objecthood erschienen war. Die transzendente Kraft der Kunst wurde gemäß Fried durch die bloß buchstäbliche, konkrete Gegenwart der minimalistischen Objekte zerstört8. Frieds Begriff der Theatralität/Theatricality sollte jene Merkmale zusammenfassen, die minimalistische Werke inferior, ja, zum „Gegensatz von Kunst" werden ließen, für Zobernig genau das, was er in ihr sucht: „In den sechziger Jahren hat man die Körper und Ideen in kosmische Dimensionen verlängert oder wachsen lassen. Mein Realitätsverständnis ist wohl eher ein pragmatisches ohne metaphysischen Verweis"9.

4 Vgl. Eva Badura in: Heimo Zobernig. Ausstellung. Katerlog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, 2003, S. 46.
5 Anspielung auf den Ich-Erzähler in Thomas Bernhards Roman „Korrektur", Suhrkamp, 1975.
6 Ferdinand Schmatz, Heimo Zobernig: Frabenlehre, Springer, 1995
7 „Die (Zobernigs) Arbeiten schienen immer beide Pole zu berühren zu wollen. Sie tauchen in unterschiedlichen Kontexten auf, in Harald Szeemanns neokonservativer Ausstellung de sculptura (Wien 1996), in der die ‚spezifischen Objekte' der Minimal Art völlig ihres theoretischen Bezugsrahmens entkleidet wurden und zu reinen, ‚zeitlosen', substanziellen Kunstwerken stilisiert wurden, ebenso wie sie im Kontext der Galerie Pakesch neben extrem zeitbezogenen Arbeiten von Martin Kippenberger und Georg Herold standen. Kein Zweifel, Zobernigs Arbeiten stehen den letztgenannten Künstlern wesentlich näher als den in de sculptura vertretenen. (...) Doch auch in de sculpturta macht Zobernig eine ‚gute Figur', die filigranen, mit Lack bemalten Arbeiten stehen an der Kippe zwischen der Erfüllung des postminimalistischen Ideals und dessen Unterlaufung." Helmut Draxler, ebd., S. 281 f.
8 „Frieds Kritik der Minimal Art erfolgte vor dem Hintergrund eines kunsttheoretischen und kunstgeschichtlichen Argumentes, das er in den folgenden Jahren auf die gesamte Moderne ausweitete. Der Gegensatz zwischen Theatralität/Theatracility und Versunkenheit/Absorption (wie Fried den positiven Gegenpol der Kunsterfahrung nannte) wurde in Monografien zur Kunst des 18. Jahrhunderts, Gustave Courbet und Edouard Manet zum ebenso künstlerischen wie moralischen Grundkonflikt der Moderne erklärt." Michael Lüthy: Theatricality / Michael Fried, in: skulptur projekte münster 07, Ausstellungskatalog Westfälisches Landesmuseum Münster, hrsg. von Brigitte Franzen, Kasper König und Carina Plath, Köln 2007, S. 465-466
9 Heimo Zobernig in: Skulptur und System, Interview mit Thomas Wulffen, Kunstforum Bd.125, 1994.

Jedoch wollen Zobernigs Skulpturen keine das Material fetischisierenden minimal sculptures sein, sie sind mit einfachem Karton produziert, mit kleinen Fehlern im Lack und kritischem Eigenleben: „Das minimalistische Formenvokabular ist ja mittlerweile durchgesetzt und ist in optimierter Form auch im Alltäglichen anzutreffen. Man tut so, als könnte man heute gar nicht daran vorbei, deshalb interessieren mich die möglichen Korrekturen und Umdeutungen."10

Zobernig studierte unter anderem Bühnenbild und arbeitet anfänglich auch
fürs Theater. Seine Kunst materialisiert sich nun zunehmend als historisch kritische Ausgabe der Kunstgeschichte unter Verwendung quasi szenischer Mittel. Man könnte sagen, er lässt die Kunstgeschichte in seinem Werk auftreten, setzt sie in Szene, inszeniert sie jeweils quer zur Zeit11. An die Stelle von Theatralität, wie Michael Fried sie definierte, tritt bei Zobernig jedoch die im Theater der 80er Jahre durch Protagonisten wie Peter Brook (Der Leere Raum) wiederentdeckte kritische Kraft des Szenischen im „postdramatischen12" Sinn.

Als durch und durch szenisch angeordnet erscheint auch Zobernigs Ausstellung in der Villa Arson in Nizza (1991), die als eine Schlüsselausstellung angesehen werden kann, da sich die zentralen Wesensmerkmale seiner Kunst, die bis dahin erarbeitet sind, hier am klarsten zeigen. Die Ausstellungshalle der Villa Arson teilt Zobernig mit einem Kreuz aus Stellwänden in vier Räume oder „Bilder", wie man auf dem Theater sagen würde. Neben typischen Elementen, wie einem unfertig mit weißer Dispersionsfarbe angemalten Sperrholz Paravant und einem flach auf dem Boden liegenden weißen Sockel, wird auch ein schwarz lackierter Pappwürfel gezeigt. Er ist im gleichen Raum platziert, in dem das Gemälde von Georges Mathieu hängt, das Zobernig für die Ausstellung hat ausleihen lassen. Was interessiert Zobernig an dem Bild? Wohl weniger Mathieus kitschig expressiver Duktus, der seine eigene nüchterne Ästhetik eher zu konterkarieren scheint. Mathieu steht für einen extrem subjektivistischen Autorenbegriff und damit Zobernig diametral gegenüber. Vielmehr dürfte für ihn von Bedeutung sein, dass sich Mathieu beim Malen hat zuschauen lassen. Der Würfel und das Mathieubild teilen unerwarteter Weise eine szenische Ebene. Beide führen die Kunst vor. Wozu Mathieu einiges an Tamtam bedurfte, schafft der Würfel mit einer leisen Verschiebung.

10 Ebd.
11 ...und erkennt damit die Historizität der Kunst an.
12 Ein Begriff, den der Theaterwissenschaftler und Szondi-Schüler Hans-Thiess Lehman in den 80er Jahren mit Blick auf die griechische Tragödie maßgeblich neu geprägt hat. Postdramatisch heißt, nicht die Handlung/der Plot steht im Vordergrund, sondern die „Szene" als Angebot ästhetischer Erfahrung (unmittelbaren Erlebens bei gleichzeitiger Möglichkeit seiner Reflektion).

Als Inszenierung muss man auch das von Zobernig als konstitutiven Teil der Ausstellung einberufene Symposium sehen. Protagonisten der damaligen Diskurslandschaft13 nähern sich darin seiner Arbeit mit ihren jeweils verschiedenen Herangehensweisen. Die szenische „Reflektion der Reflektion" erhält ihre Pointe Jahre später 1998, während einer weiteren, von Dirk Snauwaert kuratierten Zobernigausstellung im Münchner Kunstverein, als unter dem Titel „Symposium" die Texte der Vorträge und die auf sie folgenden Diskussionen mit verteilten Rollen von Vorstandsmitgliedern des Kunstvereins vor Publikum gelesen werden14.

Für eine Gruppenausstellung, anlässlich der die Beteiligten von dem New Yorker Kurator Matthew Higgs gebeten wurden, das für sie allerwichtigste Buch zu benennen, fiel Heimo Zobernigs Wahl auf die Reclam Ausgabe von Shakespeares Hamlet15! In der Tragödie wird in einem „Schauspiel im Schauspiel" der Brudermord vorgeführt. Von Hamlet und seinen zahlreichen Epigonen16 haben wir gelernt, dass die Toten nicht tot sind. Sie kehren zurück als Gespenster, was nichts anderes bedeutet, als dass die Wahrheit historisch ist. Kunst darf, will sie den einst von Kant formulierten Aufklärungsanspruch der Moderne nicht hintergehen17, ihre Historizität nicht leugnen. Ihre Fragen müssen in wechselnden Zeiten und Kontexten immer neu Perspektive beziehen. In Zobernigs Ausstellungen, so könnte man etwas makaber sagen, wird der Tod der Kunst immer wieder vorgeführt, in Form von Werken, die als schöne Requisiten weiterleben. Was sich bereits am Anfang seiner Karriere und in den hier gezeigten Arbeiten andeutet: die Szene ist die geeignete ästhetische Praxis, diese Dialektik zur Wirkung zu bringen.

Saskia Draxler

13 Christian Bernard, Helmut Draxler, Isabelle Graw, Axel Huber, Frank Perrin, Martin Prinzhorn, Ferdinand Schmatz und Olivier Zahm.
14 Folgerichtig richtet Zobernig im Laufe der 90er Jahre häufig Bühnen sowie bestuhlte Auditorien als Installationen ein, wie beispielsweise für die Dokumenta 1997.
15 The Feverish Library (continued), curated by Matthew Higgs, Friedrich Petzel Gallery New York, Jan/Feb 2013.
16 Hier und in diesem Zusammenhang seien vor allem Heiner Müller (Hamletmaschine) und Jacques Derrida (Marx Gespenster) genannt.
17 Immanuel Kant: Beantwortung der Frage ‚Was ist Aufklärung'. Essay, Berlinische Monatszeitschrift, 1784.