James Bishop

VERNISSAGE
Mittwoch, 7. November 2012
18 – 21 Uhr

AUSSTELLUNG
7. November 2012 – März 2013
Mittwochs 17 – 19 Uhr

DER DICHTER SPRICHT SALUT AN
JAMES BISHOP

Den seit nunmehr über einem halben Jahrhundert in Frankreich lebenden Amerikaner James Bishop könnte man als den wahren, vielleicht einzigen noch lebenden Poeten der Malerei seiner Generation bezeichnen. Er scheint wie aus der Zeit gefallen, ein Meister des Intimen, der Resonanzräume zu berühren vermag, in denen sich Konstruktion und Poesie in der Schwebe halten.

Nachdem der Dreißigjährige 1957 erstmals nach Europa reiste und England, Frankreich, die Schweiz, Italien und Griechenland besuchte, war ein Jahr darauf sein Entschluss gereift, sich in Paris niederzulassen. 1966 besuchte er erstmals wieder New York. Schließlich zog Bishop 1973 von Paris weg in ein altes Haus auf dem Land, das nach eigener Aussage sein Leben verändert hat, welches äußerlich so gänzlich ohne große Ereignisse war.1 Lesen, Sehen und Hören bezeichnete der Künstler als für ihn am wichtigsten und der umfassende Radius seiner hierauf bezogenen Erlebnisse lässt einen bei jeder Begegnung von neuem staunen. Wie Bishop selbst bekannte, habe er stets einen intensiveren Kontakt zu Schriftstellern und Dichtern als zu Malern gepflegt2, und sein ausgeprägtes Sensorium für die Musik hat ihn zeitlebens beflügelt. Auch in diesem Bereich sind es in stärkerem Maß die lyrischen Gefilde der Klavierkunst, des Liedgesangs und der Kammermusik, denen sich der Künstler nahe fühlt. Kommt das Gespräch etwa auf Mozarts Violinsonaten, auf Chopins Préludes oder Schumanns „Dichterliebe“ und nennt man dann Künstler wie Clara Haskil und Artur Grumiaux, Alfred Cortot oder Gérard Souzay, dann leuchten Bishops Augen. Dieser Künstler ist über Jahrzehnte fähig gewesen, aus seiner selbst gewählten Isolation, aus einer bisweilen beinahe mönchisch anmutenden Abgeschiedenheit heraus Verbindungen zu halten und Anregungen zu beziehen, die fruchtbar für sein eigenes Schaffen waren. Nie hat er sich als Teil einer Künstlergruppe vereinnahmen lassen. Bishop „verarbeitete“, was er „gesehen“ und was er „mitgebracht“ hatte, und dies „in einer Weise“, wie er das „in New York wohl nicht getan hätte“. Er selbst sieht sich „als einen Maler, der von Robert Motherwell und später von Barnett Newman, Mark Rothko und Ad Reinhardt ausgehend nach Neuem suchte“.3

Wesentliche Eindrücke in seinen ersten Jahren in Frankreich waren Ausstellungen in Paris – Jackson Pollock und die abstrakten Expressionisten, Mark Rothko, und Franz Kline, vor allem aber die 1961 gezeigte Ausstellung mit Henri Matisses „Papiers découpés“, die er als „absolute Offenbarung“ empfand.4 Die Kunst des Franzosen sollte sowohl unmittelbar als auch nachhaltig auf Bishops Arbeit wirken. So leitete sich beispielsweise das Blau-Weiß seines Gemäldes „Bathing and Fading“ von 1963 nach eigener Aussage „direkt von Matisses „Papiers découpés – den blauen Akten – her“5, die er zwei Jahre zuvor gesehen hatte. Neben dieser spontanen Inspiration durch die Farbe waren es aber vor allem der artistische Geist und die spezifische Ästhetik der geschnittenen Papiere, zu welchen der Künstler eine geradezu sinnliche Nähe empfand. Seine raren Collagen aus den siebziger Jahren zählen in ihrem eher stillen Konversationston zu seinen im höchsten Maß poetischen Schöpfungen, denn sie vermeiden jede Evokation des Materials. Niemals sind die bei Bishop dominierenden Medien „Malerei auf Leinwand“ und „Malerei auf Papier“ scharf voneinander getrennt, sondern erhellen sich permanent gegenseitig. Bishops Arbeiten vermitteln den Eindruck, als würden sie sich in ihrer künstlerischen Essenz immer wieder aus der assoziativen Nähe zum Material „Papier“ speisen. Nicht selten suggeriert der Künstler mit ihnen den Eindruck einer „geklebten“ Faktur, als ob in deren ästhetische Erscheinung spezifische Usancen seines Hantierens mit und seines Arbeitens auf Papier phrasenlos eingeflossen wären. Unterschwellig scheinen auch in den großen Gemälden die Grenzlinien und Schnittstellen zwischen hellem Grund und dunkler Farbfläche durch ihre unregelmäßige Ausfransung auf gerissenes, aufgeklebtes Papier anzuspielen. In einer Reihe von vornehmlich seit 1970 entstandenen Miniaturblättern erzielte Bishop durch die unebene Beschaffenheit der Ränder gerade jener Felder, die auf dem Grund liegende Strukturen im Papierton überblenden, die Wirkung von fingierter Collage. Ähnliches gilt für die wundervoll intime, 1974 geschaffene Serie „Ohne Titel (Spielkarten)“, die 25 Blätter von der Größe einer Handspanne umfasst. Sie tragen auf ihrer Bildseite jeweils in Farbe und Textur verwandte, variationsartig abgewandelte Formgebilde. Diese in Blau gemalten disparaten Konglomerate mit ihren an gerissene Papierfragmente erinnernden, collageartig ausgefransten Rändern werden vom Bildgrund immer wieder durchbrochen. So bleiben Formteile wie Inseln stehen, die sich nur teilweise zaghaft berühren und durch den unterschiedlichen Abstand zueinander ein subtiles Wechselspiel zwischen Positiv und Negativ bewirken. Das Auge vermag oftmals kaum mehr zwischen „Körper“ und „Leere“ zu differenzieren. Noch stärker als an Matisse’s späte Papiere fühlt man sich in diesem Fall etwa an Hans Arps „Papiers déchirés“ von 1933/34 erinnert. Auf höchst individuelle Weise führt Bishop hier mit den Mitteln trompe-l’oeil-artiger Imitation einen imaginären Dialog mit den europäischen Meistern der klassischen Moderne und ebenso mit jenen des lyrisch-abstrakten Expressionismus Amerikas, was nur ein Blick auf manche Arbeit des von ihm so hoch geschätzten Robert Motherwell zu bezeugen vermag.6

In Bishop’s Oeuvre schuf die auffällige Diskrepanz zwischen „Groß“ und „Klein“, zwischen „Monumental“ und „Intim“ im Bereich der von ihm gehandhabten Bildmaße ein spezifisches Spannungsfeld. Dieser Künstler „begann“ quasi mit großen Gemälden, unter denen quadratische Riesenformate von annähernd zwei Metern Seitenlänge bis in die siebziger und achtziger Jahre hinein keine Seltenheit waren. Auch die Maße seiner Arbeiten auf Papier sind in den sechziger Jahren durchaus nicht als klein zu bezeichnen. Rasch sollte sich dies ins Gegenteil verkehren und die insbesondere bei den Papierarbeiten vereinzelt bereits ab Mitte der sechziger Jahre einsetzende Tendenz zur Reduktion hielt sich bis in die jüngste Zeit konstant. Dabei resultiert Bishop’s latente Vorliebe für das Intime der Miniatur keinesfalls aus Einschränkungen physischer Natur. Konträr zu „den großen Bildern, die alle in einem Zug fertig gestellt wurden“, wobei er im voraus eher wusste, „wie es werden sollte“, empfindet Bishop die kleinen Malereien als für ihn überraschender und meistens „vielschichtiger“.7 Je länger je eindringlicher spielen sich bei diesem Künstler die essentiellen Dinge in der Spanne der Hand ab. Die von ihm erstrebte Verdichtung entsteht aber nicht etwa „aus der Hand heraus“, im produktiven Sinn sprudelnd oder gar leichtfüßig, sondern im langsamen, bedächtigen Zeitmaß strenger Erarbeitung. Dies bedingt einen schöpferischen Prozess, der mit höchster Selbstkritik einher geht und dazu führt, dass Bishop während eines Jahres oft nicht mehr als ein halbes Dutzend Arbeiten als gültig erachtet.

James Bishop war von Anbeginn auf der Suche nach einem ästhetischen Gleichgewicht der gegensätzlichsten Faktoren. Um einer Poetisierung des Heterogenen näher zu kommen, entschied er sich, in seine Bilder einfache, tektonische Elemente einzubauen bzw. diese wie aus dem Grund hervor tauchend das Bild bestimmen zu lassen, um dann erst im Dialog mit einer klaren „Struktur“ die fluktuierende Farbe einzusetzen. Die „neutralste“ Form, das dem menschlichen Maß entsprechende Quadrat, und eine „fiktive Konstruktion“ oder ein „unsicheres Gerüst“8 bildeten für den Maler den Ausgangspunkt, um zu einer spezifischen „Art der Farbe“ zu gelangen, „ihre Schwere oder Leichtigkeit, ihre Transparenz und damit die räumliche Vieldeutigkeit, eine Art von Licht, eine Stimmung“ zu erforschen.9 Wie John Ashbery bereits 1966 schrieb, sind Bishops frühe Bilder „von machtvoller, unwiderstehlicher Beredsamkeit; sie scheinen gleichsam zu sprechen. Sieht man einmal von Rothko ab, kann man sich nur schwer einen anderen Maler vorstellen, der die Farbe mit einem ähnlichen intuitiven Wissen um ihre Möglichkeiten handhabte wie Bishop.“10 In die Zeit dieser künstlerischen Entfaltung fiel nicht zuletzt eine erneute, fast viermonatige Reise nach Italien, auf welcher der Künstler seine schon länger bestehende Affinität zu den frühen italienischen Meistern, zu Licht, Kolorit und Bildräumlichkeit der von ihm bewunderten Venezianer Giovanni Bellini und Lorenzo Lotto, zu Piero della Francesca und den Ferraresen Cosmè Tura und Francesco del Cossa vertiefen konnte. Auf dem so eingeschlagenen Weg und nicht zuletzt vor dem prägenden Hintergrund der großen wahlverwandten europäischen Maler des 19. und 20.Jahrhunderts – von Camille Corot und Henri Fantin-Latour über Paul Cézanne, Pierre Bonnard und Edouard Vuillard bis hin zu Giorgio Morandi – begann sich etwas auszuprägen, was damals kaum einem zweiten lebenden Maler der Generation Bishops zu Gebote stand: eine Bildarchitektur, in der die Farbe zum Atmen kommen konnte, jene fast unmerkliche Osmose an den Nahtstellen der Farbfelder, jener unvergleichlich fluktuierende Farbraum, der gleichzeitig auch Lichtraum ist.


Mit seinen Papiermalereien seit den Achtziger jahren – diesen manchmal nur aphoristischen Fragmenten, deren hauchartige Geheimnisse wohl kaum je ergründet werden dürften – hat Bishop gerade im zurückgenommenen Spektrum der Erdfarben, die den feinsten Grau-Braun-Umbratönen huldigt, eine weitgehende Verabsolutierung der Bildmittel erreicht. Von einem fast verzehrenden Empfindungsvermögen ist der Duktus ihrer formalen Verläufe geprägt, die zuweilen als fragile Anspielungen auf Buchstaben oder Zahlen, unregelmäßigen Gesteinsadern vergleichbar, die Papiere durchziehen bzw. in deren Grund versinken. Indem sie flächige Ausdehnung und räumliche Emanation verschränken, herrscht etwas Meditatives, ein Zug lautlosen Schwebens in diesen Blättern, woraus jene komplexe bildräumliche „Vieldeutigkeit“ entsteht, der James Bishop sein ganzes Malerleben lang auf der Spur war.

Michael Semff

1 James Bishop, „Künstler sollte man weder sehen noch hören: James Bishop im Gespräch mit Dieter Schwarz“, in: Ausst.Kat. James Bishop, Bilder und Arbeiten auf Papier, Kunstmuseum Winterthur, Galerie nationale du Jeu de Paume, Paris, Westfälisches Landesmuseum Münster 1993 – 1994 (hrsg. von Dieter Schwarz), Düsseldorf 1993, S. 20 – 21
2 James Bishop (Anm.1), S. 15
3 Alle Zitate in: Maurice Poirier / Jane Necol, The 60s in Abstract: 13 Statements and an Essay, in: Art in America, Bd. 71, Nr. 9 (Oktober 1983), S. 134 – 135; wiederabgedruckt in: Ausst.Kat. James Bishop (Anm.1), S .87 – 89
4 James Bishop (Anm.1), S .15
5 James Bishop (Anm.3), S .89
6 Zu diesem Phänomen siehe Michael Semff, „Formen, Farben, Echos, Düfte. Nahe oder ferne, helle oder dunkle Dinge. Malereien auf Papier von James Bishop“, in: Ausst.Kat. James Bishop, Malerei auf Papier, Staatliche Graphische Sammlung München, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, The Art Institute of Chicago, 2007 / 2008, S. 29 und 31
7 James Bishop (Anm. 1), S. 19 – 20
8 James Bishop (Anm. 1), S. 16
9 James Bishop (Anm. 1), S. 17
10 John Ashbery, „Post-Painterly Quattrocento“, in: Art News, Bd. 65, Nr. 8 (Dezember 1966), S. 40 – 41, 61 – 62. Wiederabgedruckt in: Ausst.Kat. James Bishop (Anm. 1), S. 81 – 84 (83)