Gordon Matta-Clark
Sommer 2007
CIRCUS NO. 13 (FROM CIRCUS BOOK), 1978
CIRCUS NO. 10 (FROM CIRCUS BOOK), 1978
CIRCUS NO. 11 (FROM CIRCUS BOOK), 1978
BRONX FLOORS: THRESHOLE, 1973
Gordon Matta-Clark
Sommer 2007
„One of the artists that I truly admire is Sol LeWitt. He has that wonderful line. He has this incredible sort of technique. But all my work is based on, to some extend, the total denial of that work on a whole other level. For all of his neatness, elegance and wit, there's also the other side, which is, what if this has never gone beyond the surface, it's never touched anything beyond the surface and it's all at best speculation? So I guess I've taken the real something which I regret from time to time – of going a bit further and thinking, well what if all the beauty and elegance were really transmitted through space …“ i
Im Februar 1978, kurz vor seinem Tod, äußerte Gordon Matta-Clark (1943 – 1978) in einer wunderbar formulierten Volte die Würdigung der vorangegangenen Generation und eine Skepsis gegenüber seinem eigenen Tun, die das künstlerische Risiko beschrieb: „Einer der Künstler, die ich sehr verehre, ist Sol LeWitt. Er hat diese wunderbare Linie. Er hat diese unglaubliche Technik. Dennoch setzte meine Arbeit mit einer totalen Verweigerung dieses Werks ein, und zwar auf einer komplett anderen Ebene. Denn bei all dieser Glattheit, Eleganz und Klugheit gibt es auch die andere Seite. Was wäre, wenn all dies nie unter die Oberfläche drang, niemals irgendetwas unterhalb dieser Oberfläche berührte und bestenfalls eine Spekulation ist? Und so habe ich das wirkliche Etwas gesucht, was ich von Zeit zu Zeit bedaure – weiter zu gehen und zu überlegen, ob sich all diese Schönheit und Eleganz auch in einem tatsächlichen Raum vermitteln kann ...“
Die erhaltenen Werke Matta-Clarks, Stücke von Hauswänden und -böden, seine Zeichnungen, Collagen, geschnittenen Foto- und Papierarbeiten dokumentieren eine buchstäbliche Verräumlichung des künstlerischen Denkens und einen Ausbruch aus dem Kunstraum, außerhalb dessen skulpturale und zeichnerische Mittel in den frühen 1970er Jahren zu Instrumenten einer virtuosen Operation wurden. Sie durchschnitten reale Gebäude, öffneten Mauern und Baukonstruktionen, erzeugten dabei Wahrnehmungen, die in der Tat unter die Oberfläche drangen und ein Eindringen in die Realität meinten: Als eine Arbeit, die nicht mehr auf dem „blank canvas“ stattfand, sondern als Intervention in gebaute Architektur, in die alltägliche Gegenwart. Die realen Räume dieser Interventionen sind nur kurzzeitige Ereignisse gewesen, in verlassenen Gebäuden, die anschließend abgerissen wurden. Das Erlebnis einer unmittelbaren Erfahrung hatte meist nur ein kleiner Kreis von befreundeten Kollegen, Kritikern und Sammlern – lediglich drei Projekte, „Conical Intersect“ (Paris Biennale 1975), „Office Baroque“ (Antwerpen 1977) und „Circus or The Caribbean Orange“ (Chicago 1978) waren von Kunstinstitutionen begleitet, die ein breiteres Publikum anzogen. Der anschließende Versuch, zumindest das „Office Baroque“ dauerhaft zu erhalten, misslang. Die tatsächlichen Räume, von denen Matta-Clark sprach, sind somit eine Erinnerung, eine Vorstellung, die seither nur noch durch Relikte oder mediale Darstellungen getragen wird. Fotografien und filmische Dokumentationen traten an die Stelle der unmittelbaren Erfahrung, ebenso Zeichnungen und Skizzen. Und sie alle mit dem Potential einer anhaltend faszinierten Rezeption, in der sich die vergangenen Situationen augenscheinlich stets neu vergegenwärtigen und das Erlebnis des zerschnittenen realen Raums aus den visuellen Medien gezogen wird.
Matta-Clark war sich der Rolle dieser Medien bewusst und er arbeitete an ihnen in einer Weise, die gleichermaßen Verbildlichung und Übersetzung war, den Exzess der Wahrnehmung und das präzise Konzept dahinter zu vermitteln suchte. Somit stellen die erhaltenen Objekte, wie sie hier beispielhaft in einer Sammlung zusammengebracht wurden, mit Handzeichnungen aus verschiedenen Jahren, Papier- und Fotocollagen, einem Bodenfragment der frühen „Bronx Floors“ und den drei Aufnahmen ihres Ursprungsorts im Jahr 1973, nicht lediglich marginale Zweitwerke, sondern vielmehr eine besondere Dimension von Objekt, Zeichnung und Bild dar, die nach dem Eingriff in die Realität zurück in den Kunstraum kamen. Das Objekt aus den „Bronx Floors“ hat, als einziges Relikt aus einem Gebäude, eine Sonderrolle: Matta-Clark betrachtete ausgeschnittene Raumfragmente als sehr kritische Objekte, nur wenige stellte er je aus, immer mit deutlich geäußerten Vorbehalten, denn er fürchtete eine Verwechslung mit dem modernen „objet trouvé“, die umgehende Verwandlung in ein autonomes Objekt. Hiergegen wirkte für ihn einzig die Fotografie als ein Indiz des realen Zusammenhangs. Daher sind die drei Aufnahmen der „Bronx Floors“ charakteristischerweise dem Fragment zugehörig: als Belege dafür, dass die Präsentation im Ausstellungsraum einem vorangegangenen Prozess folgt und das Aussägen des Stücks aus einem realen Etagenboden das bedeutsame Moment dieses Objekts ist. Bereits vor diesem Hintergrund wurde die Fotografie zu einem sehr entscheidenden Medium seiner Arbeit.
Die temporäre und meist abseitige Existenz der Projekte führte dazu, dass Matta-Clark seine Arbeiten von Beginn an umfassend dokumentiert hat. Die Kamera war ein ständiger Begleiter, sie hielt den vorgefundenen Ort, den gesamten Arbeitsprozess und alle Details der Transformation fest. Bereits in den „Bronx Floors“ erscheint sie allerdings nicht als eine reine Dokumentation, sondern vielmehr als ein suggestives Mittel der Verräumlichung. Sie erfasst das Aufbrechen des Raums, nutzt steile Blickwinkel und verunklärt die Ansicht von Decken, Böden, Wänden in einer Weise, das der Kamera (stellvertretend für das unmittelbare Erlebnis im Raum) der Boden unter den Füßen weggezogen scheint. Damit ist auch die Rolle der künftigen Fotomontagen vorgezeichnet: Bereits im gleichen Jahr begann Matta-Clark Fotos zu zerschneiden und als Raummontagen zu verarbeiten, die nicht mehr einer, sondern unzähligen Perspektiven folgten und zunehmend komplexer wurden. Auf fast paradoxe Weise entwickelte sich dabei die Fotografie zu einem zeichnerischen Medium. In diesen Fotomontagen sind Schnitt und Raum wie Linie und Illusion gegeneinander gesetzt, die Konstruktionslinien der Gebäude und der Verlauf der Schnitte bestimmen den Aufbau der Montage und werden zu abstrakten Linien, hinter denen die räumliche Illusion aufbricht. Insofern rückt auch die zunächst völlig andere, sehr skizzenhafte Erscheinung der Handzeichnungen Matta-Clarks in eine engere Verbindung: Auch hier in den Pfeildiagrammen handelt es sich um Linien und Markierungen, die einen Raum erzeugen, dabei energische und aktive Linien sind, in denen ein gestisches und performatives Moment seines Begriffs von Zeichnung erscheint.
Matta-Clarks Vision einer Transformation des realen Raums war, wie die zahlreichen Verarbeitungen der Fotografien und ebenso die unterschiedlichen Dimensionen von zeichnerischer Arbeit andeuten, ein ebenso real interventionistisches wie künstlerisch mediales Projekt, dessen Faszination maßgeblich in der räumlichen Vorstellungskraft lag. Die Projektskizze der 1978 entworfenen Intervention für die Nachbargebäude des Museum of Contemporary Art in Chicago, die kugelförmige Entkernung einer kubischen Architektur, für das Matta-Clark mit dem Titel „Circus or The Caribbean Orange“ auch eine bildhaft metaphorische Neubesetzung herstellte, belegt bis heute, dass Matta-Clark mit dieser Vorstellungskraft und ohne unmittelbare Präsenz eines konkreten zerschnittenen Gebäudes eine sehr weitgreifende und schlagartige Transformation der Wahrnehmung von Architektur erzeugte. Ein ähnlich komplexes System kugelförmiger Einschnitte in die Fassade des von Philip Johnson entworfenen Museums of Modern Art in New York folgten unmittelbar nach diesem letzten realisierten Projekt in Chicago, allerdings lediglich als Ideenskizze. Bis zum Schluss waren es Abbruchhäuser wie die zur Umwandlung bestimmte Nachbarschaft des Museums in Chicago, die Matta-Clark zur Verfügung standen. Dennoch wurde in seinem Werk bereits mit wenigen Strichen eine Destruktion der Moderne, ein Affront gegen ihre Architektur und ihre Ideologien lesbar, der zugleich die Imagination eines völlig neuen Raums eröffnete.
Maßgeblich mit solchen Medien der Vermittlung gelang es auch, den realen Ort der Transformationen darzustellen, der sowohl bewusst als auch notgedrungen abseits des glamourösen MOMA, mithin auf der Gegenseite der kulturellen Realität lag und, ähnlich wie das entropische Denken Robert Smithsons in den Brachen von postindustriellen Landschaften, eine Zündkraft für die folgende Rezeption herstellte: Matta-Clark führte die zerbrochenen und verlassenen urbanen Strukturen am Ende der Moderne vor, Situationen, die der Spekulation feilgegeben waren und in diesem Augenblick der 1970er Jahre als ruinöse Monumente des Scheiterns dieser Moderne erschienen. Umso charakteristischer wird denn auch letztlich, dass Matta-Clark und Sol LeWitt beide studierte Architekten waren, somit der eingangs zitierte Bezug eine noch interessantere Nähe gewinnt, doch im Werk von Matta-Clark eine völlig andere künstlerische Auseinandersetzung entstand, welche den abstrakten Raum verließ und fortan von unterschiedlichsten formalen, medialen und interventionistischen Mitteln bestimmt war. Matta-Clarks Serie „Reality Properties: Fake Estates“, eine konzeptuelle Arbeit aus dem Jahr 1973, kann für die neuartigen Bezüge, ebenso für die Vorläufigkeit und die weitgreifenden Fragestellungen einer solchen Arbeit, schließlich auch eine künstlerische Utopie, die Matta-Clark in seine zeithistorische Reflexion einbrachte, als ein sinnbildhaftes Gegenstück zu Sol LeWitt stehen: Abstrakte „grids“ aus Katasterplänen erscheinen aufgepinnt an der Wand, darunter jeweils eine lange Reihe von Fotografien, welche die schematischen Flächen als eine urbane Situation aus winzigen Restgrundstücken verräumlichen. Daneben erscheint ein Originaldokument mit dem Hinweis auf eine Parzellennummer und einen gezahlten Auktionspreis, der Matta-Clark als Interventienten und möglichen Spekulanten belegt.
Susanne Titz
i Gordon Matta-Clark im Interview mit Judith Russi Kirshner, in: Gordon Matta-Clark, Ausst. Kat., IVAM Centre Julio Gonzalez Valencia, Museé Cantini Marseille, Serpentine Gallery London, 1992 – 1993, Ausgabe des IVAM Valencia 1993,
S. 388 – 394, hier S. 394.
Zur weiteren Lektüre in deutscher Sprache empfehlenswert: Reorganizing Structure By Drawing Through It. Zeichnung bei Gordon Matta-Clark, Ausst.Kat. mit Werkverzeichnis der Zeichnungen, herausgegeben von Sabine Breitwieser, mit Texten von Pamela M. Lee und Peter Fend, Generali Foundation Wien / Buchhandlung Walther König Köln, 1997.